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Von verschwundenen Handschuhen, Regenschirmen und Mützen: Selbstorganisation in der Grundschule

Wir sind mitten im ersten Winter des neuen Schuljahres und ich kann schon jetzt sagen, er wird teuer. So richtig Mützen-Handschuh-Schirm-verschlamprig-teuer. Denn innerhalb von nur vier Wochen haben unsere Kinder zwei Mützen verbummelt, vier Paar Handschuhe oder auch Einzelne und einen Regenschirm, ganz zu schweige von einem Pullover und einer Jacke. Liegengelassen an der Garderobe, vergessen in der Mittagsbetreuung, hängengelassen in der Umkleidekabine der Turnhalle, im Klassenraum, im Werkraum und anschließend einfach meist spurlos verschwunden. Neue Sachen, teure, stylische und second-hand Dinge - ganz egal. Wir haben immer die ganze Schule abgesucht, aber gefunden haben wir die wenigsten Sachen.

 

Diese Vergesslichkeit ist ein roter Faden, der sich bisher durch die Grundschulzeit unserer Kinder zieht. Nach der ersten Mütze schimpfte ich noch. Sie war neu und ich war etwas sauer. Der Herr schaute dann noch ein paarmal in der Fundkiste, aber sie blieb einfach weg. Nach der zweiten Mütze gab ich in meiner mütterlichen Naivität Ratschläge: "Pack´ die Mütze in den Schulranzen oder steck sie in den Jackenärmel. Dann geht keine mehr verloren!" Okay, diese Ratschläge hätte ich mir sparen können. Denn sie haben so gar nichts geholfen. Bei Mütze Nummer drei fragte ich verärgert, warum es denn nicht möglich sei, dass der Herr und die Damen ihren Kram zusammenhalten können. Ich wollte einfach wissen wo das Problem liegt. So eine Mütze ist schließlich keine Stecknadel im Heuhaufen, oder? Die Antwort war ganz einfach: "Mama, das ist so viel, an was wir alles denken müssen; die Hausaufgaben, hab` ich alle Bücher dabei, an die Jacke, Mütze und manchmal auch an den Schirm, habe ich morgen Turnen oder Schwimmen, wann muss ich nachhause gehen, oder werde ich sogar abgeholt usw.. Das schaff` ich dann gar nicht!" Und dann taten mir die Kinder schon sehr leid. Denn scheinbar geht es dem Herrn und den Damen nicht viel anders als mir an einem stressigen Tag. "Im Kindergarten da musste ich mir gar nichts merken. Und auf einmal muss ich alles alleine können und auch an alles alleine denken!" Da tat mir mein Geschimpfe und der von mir ausgeübte Druck unendlich leid. Denn wie kann jemand sich für irgendetwas interessieren oder gar begeistern, wenn er ständig erleben muss, dass er von anderen und dann ja auch meist auch von sich selbst unter Druck gesetzt wird und sich ständig verbiegen muss, um es den anderen recht zu machen? Absichtlich haben sie ja ihre Sachen nicht vergessen. Sie sind eben gerade mitten im Lernprozess der Selbstorganisation.

 

Selbstorganisation = Schulreife

 Erst jetzt im Nachgang verstehe ich, dass Selbstorganisation eine der wichtigsten Fähigkeiten zum Thema Schulreife ist. Grundschulkinder müssen noch nicht alles können. Sie müssen bei der Einschulung nicht rechnen, lesen und schreiben können. Das ist alles gar nicht wichtig. Die Frage ist also nicht, ob ein Kind schon bis 20 zählen kann und daher sofort eingeschult werden muss. Vielmehr geht es darum, selbstorganisiert und selbstständig im Schulalltag klar zu kommen bzw. diese Fähigkeit schnell zu erlernen. Nicht gar so einfach zu erlernen, denn wir Eltern neigen im stressigen Alltag schnell dazu viel, zu viel abzunehmen. Doch je mehr sie ihr Kind fordern und je mehr Möglichkeiten sie ihm geben sich zu beweisen, desto schneller wird ihr Kind selbstständig werden. Kinder lernen aus den Folgen einer Handlung und sie lernen bestimmt nichts, wenn Eltern ihnen alles abnehmen oder sie immer erinnern. Aus solchen Kindern werden Erwachsene, die sich immer auf andere verlassen, alles aufschieben und ihr Leben nicht geregelt bekommen – also, alles andere als selbstständig. Und wer denkt, dass dazu immer noch Zeit ist, wenn das Kind älter ist: Die wesentlichen Grundlagen werden genau in der Zeit von Kindergarten und Grundschule gelegt.

 

"Hilf`mir es selbst zu tun!"

 Doch was mache ich jetzt mit all den vergessenen Mützen. Für uns steht jetzt ganz klar fest, dass mit Belohnung und Bestrafung Kinder nur dazu gebracht werden, etwas zu lernen. Durch diese Dressurmethode lernt das Kinder aber nur, wie man eine Belohnung kriegt, es lernt nicht, weil es Freude daran hat, lange seine schöne Mütze, Handschuhe und Regenschirm zu nutzen. Denn viel wichtiger ist es zu lernen, sich in seinem eigenen Körper wohlzufühlen, mit anderen Menschen zurechtzukommen und mit ihnen gemeinsam Probleme lösen zu können.

 

In Liebe und Toleranz schätzen wir daher die enorme Anstrengung des Lernprozesses der Selbstorganisation und versuche nicht den Verlust sondern die Fülle zu sehen. All die tollen Dinge und Sachen, die unsere Kinder selbstorganisieren. Eine unserer Damen führt dann zusätzlich ein, dass wenn sie gemeinsam von der Schule nachhause laufen, sie sich gegenseitig fragen, ob sie denn an alle an ihre Mützen, Handschuhe, Turnbeutel usw. gedacht haben. Sie haben für sich eine ehrbare Lösung gefunden und Verantwortung übernommen. Und ihr werdet es nicht glauben, seit dem dies in den Alltag integriert ist, verschwinden weniger Mützen, Handschuhe und andere Dinge in der Schule.

 

Hinweis: Veröffentlichen des Textes und von dessen Auszügen nur mit Erlaubnis der Autorin.

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